Eines gleich vorweg: Fußball selbst finde ich todlangweilig! Lieber würde ich einen ganzen Tag in einem russischen Gulag Steine schleppen, als mir auch nur ein einziges Fußballspiel von Anfang bis Ende ansehen zu müssen. Aber es geht hier ja auch nicht so sehr um die Sportart an sich, sondern mehr um die damit verbundene Fußballweltmeisterschaft in Brasilien.
Am Montag, dem 16. Juni, als Deutschland abends gegen Portugal spielte, war ich mit Øsel spazieren. Gefühlt mag dieser Tag für manchen Fußballfan schon eine Ewigkeit zurückliegen. Ich selbst kam mir an jenem besagten Abend vor, als sei ich die einzige menschliche Überlebende nach einer Seuche. Auf der ca. 3.5 KM langen Runde die ich mit Øsel mache kam uns nicht ein einziges Mal ein Auto entgegen — kein Traktor, kein Fahrrad, kein Jogger, keine anderen Spaziergänger — gar nichts, nada, niente. (Selbst die Außerirdischen waren nicht zu Hause.)
Freitags, als die Niederlande dann gegen Spanien spielte waren wir Essen. Auch das war sehr angenehm, denn das Restaurant war lange nicht so voll wie gewöhnlich. Außerdem saßen die meisten Gäste draußen auf der Terrasse, wo man extra einen großen Flachbildschirm aufgehängt hatte. Mini-Public-Viewing so zu sagen. Wer jedoch des Öfteren meine Blogs liest, der weiß auch, dass mein Lebensgefährte Holländer ist. Allerdings interessiert der sich „normalerweise“ für Fußball ungefähr genauso sehr wie ich. Sein Lieblingssport wird zwar auch mit einem Ball gespielt, aber mit einem wesentlich kleineren. (Außerdem tritt man dabei den Ball nicht primitiv mit den Füßen, sondern vornehm mit einem Schläger, vorzugsweise aus Graphit.) Nichtsdestotrotz fand Theo es toll, dass „seine Leute“ den arroganten Spaniern mal so richtig den Hintern versohlt hatten und natürlich musste ich mir danach auch anhören, wie toll die Holländer doch sind!
Aber warum müssen Menschen immer alles so verallgemeinern? Es waren bloß elf Holländer — trotzdem haben sie es geschafft das Ego eines ganzen Landes (Spanien) anzukratzen und das eines anderen Landes (Holland) bis fast an den Rand des Größenwahnsinnes aufzuplustern. Selbst bei Theo zeigte dies Wirkung. Normalerweise höre ich von ihm nämlich eher selten Formulierungen, wie „wir Holländer“ in Verbindung mit Lobeshymnen! Andererseits würde er sich aber auch nie eine Gelegenheit entgehen lassen, mir — ganz subtil — etwas unter die Nase zu reiben von dem er glaubt, dass seine Landsleute darin besser sind als meine. Wie zum Beispiel: Tomaten züchten, Tulpen und Haschisch anbauen, Käse machen, Deiche anlegen, Fahrradfahren — das war’s dann aber auch schon, Ende der Fahnenstange! Und natürlich beruht dies auf Gegenseitigkeit und ich lasse mir entsprechend auch keine Gelegenheit entgehen, ihn mit der Nase auf Dinge zu stoßen, in denen „wir Deutsche“ besser sind. Zum Beispiel: Autofahren, Autos entwickeln, Autos bauen, Autofahren, knackiges Brot backen, Autofahren, Bier brauen, Autofahren, Autos entwickeln, Autos bauen, Autofahren — die Liste ist schier endlos…
Neben der Tatsache, dass zu den Übertragungen der Spiele TV-Geräte auf die meisten Einwohner eine magische Anziehungskraft hatten, wodurch Ösel und ich herrlich einsam spaziergehend konnten, gefiel mir an der WM ganz besonders die zusätzliche Möglichkeit Theo ans Bein zu pinkeln!
Während der WM verschenkte ein holländischer Supermarkt zudem mit jedem Einkauf hässliche, orangefarbene Püppchen, die man sich z.B. ins Auto hängen konnte. Theo hat nach dem Sieg der Holländer über Spanien mit den Dingern eine Girlande gebastelt und sie um seine Golftasche gehängt. Entsprechend (subtil) fuhr Theo am nächsten Tag dann auch zum Golfplatz: in grell-orangem Poloshirt, orange-karierten Golfhosen und oranger Kappe. Theo spielt übrigens in Deutschland Golf und wahrscheinlich hat er es nur dem glücklichen Umstand zu verdanken, dass die Menschen am Niederrhein täglich mit Holländern konfrontiert werden, ergo regelmäßig Entwicklungshilfe leisten müssen und deshalb schon so einiges gewöhnt sind. Ansonsten wäre er wahrscheinlich mit einer Möhre im Hintern wieder nach Hause gekommen — passend zum orangen Outfit!
Die Euphorie und das subtile „wir Holländer“ hielt auch nur drei Tage — danach hatte Deutschland dann gegen Portugal ähnlich hoch gewonnen, wie zuvor die Holländer gegen Spanien, und außerdem ist das Ego der Holländer von Natur aus auch eher genauso klein wie ihr Land. Aber aus dieser Sicht machte Fußball sogar mir Spaß. Ich lasse nämlich nur ungern eine Gelegenheit verstreichen, um Theo fühlen zu lassen, dass in Deutschland alles größer, schöner und besser ist. (Was die Frühstückseier angeht, hat er das mittlerweile auch eingesehen. Dann habe ich anhand der Nummer im Karton gesehen, dass die Dinger in Wirklichkeit aus Holland kommen — was ich ihm aber nicht erzählt habe.)
Natürlich war es klar, dass Theo und ich entsprechend hofften Deutschland und Holland kämen ins Endspiel, das hätte uns mindestens Stoff bis Halloween geliefert um uns gegenseitig aufzuziehen — egal, wer gewonnen hätte. Dabei reicht es uns schon, wenn wir am nächsten Tag die Zusammenfassung der Spiele in den Nachrichten sehen. Nie im Leben würde ich es schaffen, mir ein ganzes Fußballspiel live anzusehen. Dafür passiert da einfach zu wenig — zumindest für meine Begriffe. Fußball ist im Großen und Ganzen ein langweiliger Sport, mit endlosen Passagen in denen nichts geschieht — jedenfalls für meine Begriffe. Doch wie der Teufel es wollte, hatte ich an dem Abend, als Deutschland Brasiliens Ego auf Jahre hin vernichtete, gerade in dem Moment den Fernseher eingeschaltet, als das erste Tor fiel, dann noch eins und noch eins, usw. Nanu, dachte ich, da passiert ja mal was. Aber das sind wohl eher die Ausnahmen, wie das Spiel Holland gegen Argentinien gezeigt hat. Aber natürlich habe ich keine Ahnung von Fußball, dafür aber von Trends und Verhaltensanalyse. Ich denke, ich weiß warum Bierwerbung und Grillfeste Hand in Hand mit Fußballspielen gehen: Fußball ohne Bier ist wie Techno-Musik ohne Ecstasy — es ist einfach nicht zum Aushalten. Und weil Fußball meistens auch noch stinklangweilig ist, beschäftigt man sich noch mit etwas anderem zwischendurch: dem Grillen von Würstchen. (Mal sehen, wie viele empörte Posts ich hierzu bekomme.)
Entsprechend habe ich jedenfalls eine sehr verwegene Theorie aufgestellt: Ich halte es für möglich, dass Liebhaber von Jazzmusik keinen Fußball mögen. Jazz ist sehr komplex und man sagt, dass nur sehr wenige Menschen überhaupt in der Lage sind diese Komplexität zu erfassen, weshalb es auch so relativ wenig Jazzliebhaber gibt — in Relation zu anderen Musikrichtungen. Fußball hingegen ist sehr eintönig, weil sich die Sinne immer nur auf den Ball konzentrieren brauchen — ungefähr wie beim Autofahren, wo man auch nur immer auf die Straße blicken muss. Und auch wenn man es kaum für möglich hält, aber auch Männer sind Multitaskingfähig — jedenfalls im unteren Niveaubereich. Das heißt, während des Spiels Steaks und Würstchen grillen, oder Bier zapfen, geht gerade noch so. Das ist wie SMSen beim Autofahren. Wobei ein verbranntes Würstchen oder ein übergelaufenes Bier natürlich harmlos sind, im Vergleich zu einem Autounfall.
Hier wird es ernst und obwohl ich gerne witzig oder ironisch schreibe, muss ich auch etwas Ernsthaftes loswerden: Was mich in den Zusammenfassungen der Spiele, die ich mir dann teilweise angesehen habe, wirklich entsetzt hat, sind die vielen Fouls die größtenteils einfach ungeahndet blieben oder bagatellisiert wurden. Ein Spieler der jedoch einen anderen Spieler grob foult und ihn dabei vorsätzlich so schwer verletzt (oder dies zumindest billigend in Kauf nimmt) dass dieser für weitere Spiele ausfällt, hat in keiner Sportart etwas verloren und sollte mit sofortiger Wirkung und unwiderruflich suspendiert werden. Außerdem sollte dies auch juristische Konsequenzen nach sich ziehen. Jeder Mensch der einen anderen vorsätzlich verletzt kann eine Anzeige wegen Körperverletzung erwarten, so sollte es zumindest sein, und ich finde Sportler bilden hier keine Ausnahme — ganz im Gegenteil. Sie steht im Blickpunkt der Öffentlichkeit und sollten mit gutem Beispiel vorangehen. Wen wundert es da auch, dass es so oft nach Fußballspielen zu Ausschreitungen kommt? Letztendlich verhalten sich diese Chaoten doch auch nicht anders, als die Chaoten auf dem Spielfeld. Dass die FIVA, trotz Videoaufzeichnungen dieser Fouls, nicht reagiert, macht diesen ganzen Verein für mich sehr anrüchig. Wie bei so vielen Sportarten geht es auch im Fußball nicht mit gerechten Dingen zu. Korruption, Willkür, Bestechung, Scheinheiligkeit und Geldgier sind auch hier sehr präsent.
Schade jedenfalls, dass Holland und Deutschland nicht zusammen im Endspiel gestanden haben. Außerdem hätten die Brasilianer und Argentinier als Gegner auch viel besser zusammengepasst. Zwischen den beiden Nationen herrscht nämlich eine ähnliche Hassliebe, wie zwischen Deutschen und Holländern. Was ich jedenfalls nicht kapiert habe ist, wieso der Trainer der Holländer im Spiel gegen Brasilien zum Elfmeterschießen den Torwart nicht erneut wieder ausgetauscht hat. Fußball ist doch ein Teamsport indem jeder Spieler seinen Qualitäten zufolge eingesetzt wird. Ein Torwart kann eben gut „normale“ Tore halten und ein anderer ist eben besser, wenn es darum geht einen Elfmeter zu halten. Kann es sein, dass ein einfaches Egoproblem die Holländer um die Vize-Weltmeisterschaft gebracht hat? Da hat es dann auch nicht mehr geholfen, dass der holländische Torwart sich für das Spiel extra die Klamotten von Manuel Neuer geliehen hat.
Kommen wir zum Ende des Blogs und zum Endspiel — … ich habe es bis zur Verlängerung verschlafen. Aber die Siegerehrung habe ich dann doch noch gesehen. Ich fand es toll, dass die Kinder der Spieler aufs Feld durften. Dies wird wohl später zu ihren schönsten Kindheitserinnerungen gehören. Dieser Joachim Löw hingegen ist mir zu glatt. Ich mag die Art nicht, wie er beim Sprechen immer hörbar zischend Luft holt. Außerdem sah er während der ganzen WM immer so aus, als habe er sich gerade auf die Zunge gebissen. Nur zur Siegerehrung hatte es den Anschein, als habe er diesen Gesichtsausdruck — zumindest vorübergehend — an diesen Lionel Messi abgetreten. Auch wenn dieser es nicht für möglich hält, aber davon, dass Argentinien kein Weltmeister geworden ist, geht die Welt nicht unter! Natürlich wäre sie auch nicht untergegangen, wenn Deutschland verloren hätte. Wenn ich aber so manche Fußball-Fanatiker im Fernsehen sehe, die heulen als hätten sie gerade Haus und Familie verloren, nur weil ihre Mannschaft verliert, frage ich mich, ob diese Menschen tatsächlich nichts anderes, wichtigeres im Leben haben.
Naja, jetzt sind „wir“ jedenfalls Fußballweltmeister. Es freut mich für die, die es freut. Ich persönlich habe mit dem „wir“ eh so mein Problem, denn ich sehe mich eher als EU-Bürger und bin lieber kosmopolitisch statt germanisch. Mich würde es mehr freuen wenn „wir“, und damit meine ich dann auch die EU, mehr an einem Strang ziehen würden — vor allen Dingen die Inselaffen. Aber jetzt wird es schon wieder erst und zudem politisch, also höre ich für diese Woche auf.
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